„Wie kommt man denn auf so eine Idee?“

Das war die häufigste Frage, die man mir stellte, wenn ich irgendwo die Dresdner Frauenkirchensteine vorstellte.

Eigentlich bin ich Grafikdesigner, ein Beruf, den ich mit Leidenschaft ausübe. Ideen entwickeln, Probleme lösen und immer wieder neue Dinge zu gestalten, sind das, was diesen Beruf nie langweilig macht. Jede Aufgabe eine neue Herausforderung, keine Lösung gleicht der anderen.

Meine Liebe zu Schokolade und Pralinen teile ich mit vielen anderen Menschen auch. Aber sie gewann zusätzliche Bedeutung für mich, als ich immer öfter Designs für Schokoladen und andere Naschereien entwickeln durfte. Darüber freute sich nicht nur mein Gaumen – regelmäßig gab es Produktmuster zum verkosten und studieren – ich tauchte auch immer tiefer in die Materie der feinen Confiserie ein.

Besonders faszinierten mich die kleinen Manufakturen, die immer neue Kreationen mit aufregenden Zutaten und Aromen schufen und so eine neue Schokoladenkultur begründeten.
Ebenso Spezialitäten wie der Dresdner Stollen oder die Salzburger Mozartkugel; Produkte, hinter denen oft eine spannende Geschichte stand.

Und so keimte in mir der Wunsch, auch mal so ein kleines, feines Produkt und eine Marke zu entwickeln, die für etwas steht. Immer wieder mal kaute ich die eine oder andere Idee geistig durch, aber keine überzeugte mich vollends.

Der Auslöser

Auf meinem Weg zu meinem Büro in der Dresdner Innenstadt konnte ich täglich die wunderschöne Kulisse von „Elbflorenz“ genießen sowie den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche verfolgen. Das war aufregend, denn wie oft im Leben haben wir die Gelegenheit, den (Wieder)aufbau eines solchen Bauwerks zu erleben.

Das Gotteshaus war im Zweiten Weltkrieg bei einem Luftangriff zerstört worden und die im Feuersturm verbrannten Trümmerreste wurden während der DDR-Zeit als Mahnmal erhalten.

2003 nahm ich an einer Besichtigung der Baustelle teil. Der Führer erzählte uns, wie man die verbrannten schwarzen Steine wieder in das Bauwerk integrierte, um die einstige Zerstörung und die mahnende Funktion der Kirche deutlich zu machen. Dazu wurden die Trümmersteine akribisch ausgelesen, katalogisiert und so gut wie möglich ihrem ursprünglichen Platz im Mauerwerk zugeordnet.

Die Idee: Sandsteine in Konfekt gegossen

 

Während mein Blick die Fassade entlangwanderte, machte es bei mir Klick. Neben der einzigartigen Architektur waren es doch die hellen neuen und dunklen alten Sandsteine, die das Gesicht der Kirche prägten.

Und diese Steine könnte man doch in Konfekt gießen!

Plötzlich passte für mich alles zusammen:

  • ein lokales Produkt, aber mit einer möglichen Reichweite weit über Dresden hinaus
  • klein genug, um damit zu starten, aber zeitlos und mit Wachstumspotenzial
  • eine Geschenkidee mit hoher Symbolkraft und einem Namen: „Dresdner Frauenkirchensteine“
  • eine hochwertige Nascherei, die der Menge an billigen, kitschigen und teils absurden Dresden-Souvenirs etwas entgegensetzen könnte.

Das Konzept

 Ich war elektrisiert und machte mich an die Arbeit. In den kommenden Wochen und Monaten recherchierte und tüftelte ich an einer möglichen Rezeptur, an Form und Optik, Verpackungs- und Sortenvarianten, Materialien, Preisen und Schutzrechten und erarbeitete ein Konzept.

Die wichtigsten Fragen waren: woraus sollte man die Pralinen herstellen? Wie konnte man die Sandsteinoptik nachbilden? Denn vergleichbares gab es im Konfektbereich bisher nicht.

Die naheliegendste Lösung – Steine aus Schokolade – hatte ich schnell wieder verworfen. Stattdessen erschienen mir heller und dunkler Nougat als geeignetere Basis. Je nach Verarbeitung kommen seine Farben und Struktur der von hellem und dunklem Sandstein erstaunlich nahe.
Indem die Nougatmasse mit flüssiger heller und dunkler Schokolade durchzogen wurde, könnte auch die Marmorierung in gewünschter Optik erzielt werden.

Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Marathon

Als nächstes musste ich einen Hersteller und möglichen Vertriebspartner finden. Kurz dachte ich darüber nach, eine eigene Produktion zu starten, verwarf das aber schnell wieder. Ohne Erfahrung war mir das zu groß, auch forderte die Handwerksordnung einen Meistertitel. Ich wollte mich auf Entwicklung, Markenaufbau und das Marketing konzentrieren.

Als Grafiker betreute ich eine Pralinenmanufaktur und der Chef war bereit, das Produkt mit mir zu entwickeln. Wir starteten erste Versuche, doch die ersten Ergebnisse waren weit entfernt von meinen Vorstellungen. Schlimmer aber: kurze Zeit später war die Firma bankrott und das Experiment zu Ende.

Was nun folgte, war ein acht Jahre dauernder Hürdenlauf. Ich versuchte mit mehreren Herstellern, die Nougatpralinen zu realisieren; erfolglos. Mal scheiterte es am Know How, mal an den passenden Gerätschaften oder am fehlenden Willen der Firma, den nächsten Schritt zugehen.
Mit einer Manufaktur schafften wir es sogar zu recht ansehlichen Prototypen, aber immer wenn es darauf ankam, war für mich nicht zu erreichen oder vertröstete mich, ohne dass etwas passierte.

Besonders setzte mir zu, dass es oft Monate dauerte, bis offenbar wurde, dass es wieder nichts wird. Ohnmächtig stand ich am Spielfeldrand und musste zusehen, wie derweil neue Dresden- und Frauenkirche-Souvenirs ihren Weg in die Läden fanden.

So kam es, dass ich immer länger pausierte, bis ich wieder einen neuen Anlauf nahm. Irgendwann dann hakte ich das Projekt erstmal ab und überließ alles weitere dem Zufall.

Die Wende

2011 trat ich einem sogenannten Erfolgsteam bei, einer kleinen Gruppe, die sich gegenseitig darin unterstützte, ein Wunschvorhaben zu verfolgen. Eigentlich hatte ich ein privates Projekt im Kopf, aber irgendwann erzählte ich von den Frauenkirchensteinen. Die Gruppe wurde hellhörig und ich brachte zum nächsten Treffen meine Entwürfe und Produktmuster mit. Die Teilnehmer:innen – vor allem Claudia – waren begeistert.

„Dieses Baby muss geboren werden!“ sagte sie.
„Aber ich finde keinen Hersteller.“
„Dann geh an die Presse“.
„Aber ohne Produkt interessiert das doch keinen.“
„Stell’ Deine Idee vor und bitte gleichzeitig um Hilfe bei der Suche nach einem Hersteller“

Mit ihrer Hilfe verfasste ich eine Pressemitteilung, ließ mich von einem Freund mit einem der Pralinenmuster vor der Frauenkirche fotografieren und verschickte meine Unterlagen an einige Lokalredaktionen.

Nur 90 Minuten später meldete sich eine Redakteurin, ich war baff. Sie interviewte mich und versprach eine Veröffentlichung. Eine halbe Stunde später folgte ein zweiter Anruf.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Weitere Veröffentlichungen und ein Radiointerview folgten, begleitet von zahlreichen Rückmeldungen von Lesern. Die Idee wäre toll! Ob es die Frauenkirchensteine schon zu kaufen gäbe? Wenn ja, wo? Wenn nein, wann?

Noch wichtiger: der Geschäftsführer einer kleinen, noch jungen Manufaktur in der Region hatte Interesse, die Nougatsteine mit mir zu entwickeln. Am nächsten Tag fuhr ich hin, wir beschnupperten uns und vereinbarten eine Zusammenarbeit.

Die heiße Phase

Eine Leserin hatte mich gebeten, die Frauenkirchensteine doch bitte bis Ende Oktober fertigzubekommen, sie würde die Pralinen ihrer Tochter in Hamburg so gerne zum Geburtstag schenken. Ich war berührt und versprach, mein Möglichstes zu tun. So wurde dieses Datum drei Monate später insgeheim zur Deadline für mich.

Ich war euphorisiert und stand unter Adrenalin – gleichzeitig war mir mulmig. Würden wir das alles in der Zeit schaffen? Aber ich hatte die Öffentlichkeit heiß gemacht und es gab es kein Zurück mehr. Eine weitere Chance würde ich wohl nicht haben.
Darum beschloss ich, mich noch stärker in die Pflicht zu nehmen und buchte für den 28. Oktober einen Stand auf der kommenden Herbstmesse – zur offiziellen Einführung der Frauenkirchensteine.

Unter Hochdruck brachten wir nun die Nougatsteine zur Produktreife. Weil die Pralinen keinem gängigen Standard entsprachen, mussten Werkzeuge zur Herstellung maßgeschneidert werden.

Außerdem musste ich die Produktverpackung umsetzen, Materialien recherchieren und bestellen, Geschäftspapiere, ein Faltblatt und die Ausstattung für den Messestand gestalten sowie eine erste Website mit Onlineshop bauen. Und dann waren auch noch diverse rechtliche Anforderungen zu erfüllen.

Und es kam es auch zu kleineren Pannen. Vor der Messe hatte ich eine weitere Pressemitteilung verschickt – mit einigen wohl missverständlichen Informationen. So löste der darauf erschienene Zeitungsartikel bei Redaktion und einigen Lesern verständlichen Unmut aus:

Herr Gläsle, gern geschehen! Allerdings gabs zwei doofe Anrufe: Einmal aus einer Hussel-Filiale, die nichts wom Verkauf wussten und einmal von einer einfachen Leserin, die gleich am Donnerstag zu Hussel gelaufen ist und dort auch nichts bekam. Aber die hat vielleicht gemeckert….:)

Hallo, Herr Gläsle, hier eine Mail zu Ihrer Kenntnis – es geht mal wieder um die Frauenkirchensteine bzw. die Verkaufsstellen. Wann klärt sich das Problem??? Wir haben wohl schon viele Leser verärgert, die sind alle ganz wild auf Ihre Steine.

Nachricht der Leserin: Hallo, ich habe mit Begeisterung den Artikel über die essbaren Frauenkirchensteine in der 48. Auflage gelesen und habe mir gedacht, das wäre ein passendes Weihnachtsgeschenk. Allerdings wußten weder die Angestellten bei Hussel im EP, noch die Mitarbeiter im Süßen Rendezvous in der CG etwas von den Artikeln, obwohl in ihrem Beitrag erwähnt wurde, dass es die Nougatteilchen dort zu kaufen gibt! Auch war ich nicht die einzige Kundin, die in den Geschäften danach gefragt hat.Ich bin etwas enttäuscht, denn auf Grund des Artikels bin ich quer durch die Stadt gefahren, um diese süßen Sachen zu kaufen. Vielleicht sollte vor der Herausgabe des Artikels etwas intensiver recherchiert werden? Oder können Sie mir jetzt einen Tipp geben, wo ich diese  süßen Sachen erwerben kann?
Mit freundlichem Gruß S.G.

Premiere auf einer Messe

Trotzdem, zur Premiere auf der Messe waren wir gerüstet und eine halbe Stunde vor Beginn trafen auch die ersten 1.000 bestellten Packungen auf der Messe ein.

Damit hatte ich allerdings deutlich zu hoch gegriffen. Viele Leute waren neugierig und interessiert, probierten auch fleißig, aber verkauft hatten wir am Ende „nur“ 230 Packungen. Zwar wurde mir gesagt, das sei gar nicht schlecht, aber ich hatte jetzt noch fast 800 Packungen auf Lager.

Und die sollte ich besser bis Weihnachten verkaufen, denn ich saß inzwischen auf vielen Rechnungen und mein finanzielles Polster war gehörig zusammengeschmolzen. Außerdem war von Januar bis Ostern eher wenig Umsatz zu erwarten.

Geschafft!

Ich musste daher tun, was ich gar nicht mochte: Klinken putzen. Aber anders war es nicht zu schaffen.

Ich füllte also meinen Kofferraum mit Frauenkirchensteinen und klapperte alle Süßwarengeschäfte in Dresden und Umgebung ab.

Zu meiner Überraschung waren die meisten Händler erstaunlich offen für Neues und freuten sich, dass sie ihren Kunden im Weihnachtsgeschäft etwas Neues anbieten konnten.

Bis Weihnachten konnte ich so rund 20 Händler gewinnen und einen Großteil meines Vorrats verkaufen.

Das Baby hatte endgültig das Licht der Welt erblickt!

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